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144. Ein fränkisches Original – Gretel Hawel

Donnerstag, 23. Juni 2011 | Autor:

Frankenlied

 

 

 

PORTRÄT
Die Höchstadterin Gretel Hawel machte im zarten Alter von 17 den Motorradführerschein und lenkte als erste Frau in der Region einen Lkw.

Foto Evi Seeger

VON UNSERER MITARBEITERIN EVI SEEGER

Höchstadt — „Was wollen Sie denn mit dem Zweier Führerschein“, fauchte der Fahrlehrer Gretel Hawel an. Doch die junge Frau ließ sich nicht einschüchtern. „Ich bin gefahren wie eine Eins“, erinnert sich die als „Kree-Gretel“ bekannte Höchstadterin an diese Fahrprüfung. Das war 1959 und sie war 29 Jahre alt, als sie den Lkw-Führerschein machte.
Der Erwerb einer Fahrerlaubnis – noch dazu für Lastkraftwagen –war für eine junge Frau damals keineswegs selbstverständlich. Für die aus Horbach stammende Höchstadterin wohl aber schon, wie alte Fotos beweisen. Kaum, dass sie über den Lenker schauen konnte, fuhr die Tochter eines Horbacher Kreehändlers und Lagerhausbesitzers schon Fahrrad. Ihre Leidenschaft fürs Fahren hat die heute 80-Jährige ihr Leben lang behalten.

Der Lkw-Führerschein war beileibe nicht ihre erste Fahrerlaubnis. Auch wenn Gretel Hawel – wie sie erzählt – damals in Bamberg erst richtig Fahren gelernt hat. „Der hat mich in alle Gässla gejagt, auch wenn man da mit dem Laster fast nicht rum gekommen ist.“ In der Innenstadt habe der Prüfer sie rückwärts in eine Toreinfahrt fahren lassen. „Da hat keine Hand mehr dazwischen gepasst.“ Am Ende habe er sie aber für ihre starken Nerven und ihre Fahrkünste gelobt.

Ihren Motorradführerschein hat Gretel Hawel bereits im Alter von 17 Jahren bekommen. Aber das ist eine andere Geschichte. Denn der Teenager saß nicht erst mit 17, sondern schon mit 15 Jahren ganz ohne Führerschein im Sattel. „Damals hat keiner danach gefragt, und auf den Straßen war nichts los“, erinnert sich das Höchstadter Original. Es muss im ersten Nachkriegsjahr gewesen sein, als die etwa 15-Jährige auf dem Geiselwinder Marktplatz von den Amerikanern kontrolliert wurde und dabei richtig Herzflattern bekam.

Grund dazu hatte sie, denn einige Frauen aus ihrem Heimatdorf hatten wenige Tage vorher Erfahrungen mit den amerikanischen Besatzern machen müssen. Wie Gretel Hawel erzählt, waren die vier oder fünf Horbacher Frauen mit ihren Fahrrädern „zum Hamstern“ nach Bamberg gefahren. „Sie hatten Fleisch dabei und in Bamberg dafür Zucker gekriegt.“ Auf dem Heimweg, „den Kaulberg rauf“, seien sie so richtig ins Schwitzen gekommen. Als sie sich zum Ausruhen hinsetzten, seien die Amis gekommen und hätten alle Fahrräder beschlagnahmt. Die Horbacherinnen mussten den weiteren Heimweg zu Fuß antreten. Bei Debring habe sie ein Bauer ein Stück weit auf seinem Wagen mitgenommen.

Man stelle sich die junge Gretel vor als sie mit diesem Wissen in die Militärkontrolle geriet. Ihre Mutter hatte sie „zur Tant’ Rettl“ nach Langenberg (bei Geiselwind) geschickt, um Äpfel zu holen. Gretel hatte keinen Motorradführerschein, und was vielleicht noch schlimmer war –, an diesem Sonntag herrschte ein von den Amerikanern angeordnetes Fahrverbot. „Ich hab’ aber keine Angst um mich gehabt, sondern um mei Sächsla“, erzählt sie. Ihr „Sächsla“ war das Sachs-Wanderer-Motorrad ihres Vaters. Auf die Fragen der Amerikaner zuckte das Mädchen nur mit den Schultern. „Ich verstehe kein Wort“, sollte das heißen, und schließlich ließ man sie tatsächlich weiter fahren. „Ich weiß gar nicht, ob die mich mit meiner ledernen Motorradkappe nicht für einen Burschen gehalten haben“, sinniert Gretel Hawel.

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Mit 17 Jahren stand für sie fest: Ein Motorrad-Führerschein muss her. Denn sie musste die Bauern der Umgebung besuchen, Waren liefern oder abholen und ein Telefon gab es in ganz Horbach nicht. Am 26.Februar 1948 ging sie zusammen mit zwei jungen Männern aus dem Dorf auf die damalige Polizeistation in Mühlhausen. „Wir möchten den Motorrad-Führerscheinmachen. Wie geht das vor sich“, fragten sie die erstaunten Beamten. „Sie müssen die Verkehrsschilder kennen und die Paragraphen 1, 9 und 13“, gab man ihnen Bescheid. Über den Wortlaut der Paragraphen konnten die Beamten aber keine Auskunft geben. Vielmehr habe man sie zur Polizei nach Höchstadt geschickt.

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Drei Paragraphen waren gefragt

Das Trio wusste sich zu helfen: „Wir gehen zum alten Kreutzer!“ Der bekannte Mühlhausener, der während des Krieges in einer Motorsportgruppe war, habe in die Schublade gegriffen und die begehrten „Paragraphen“ hervorgeholt. So ausgerüstet machten sich die drei Horbacher auf nach Höchstadt. Im Wald bei Schirnsdorf hockten sie sich nieder, um „ihre“ Paragraphen auswendig zu lernen. Wohlgemerkt, jeder nur einen. Mit diesem Wissen traten sie bei der Polizei an. Jeder habe seinen Paragraphen hergesagt. Dann habe man die Verkehrszeichen abgefragt.

An eine Frage der „Prüfer“ erinnert sich Gretel Hawel noch genau: „Was machen Sie, wenn Sie einem Schäfer begegnen und ein Schaf überfahren?“ „Ausreißen werden wir nicht“, antworteten die Drei recht schlau. Eine praktische Prüfung habe es nicht gegeben. Gleich danach ging es aufs Landratsamt, um den begehrten Schein abzuholen.

Mit 22 Jahren, am 30. März 1953, machte Gretel Hawel ihren Führerschein der Klasse drei bei der Fahrschule Elsner in Mühlhausen. „Natürlich habe ich die Prüfung schon nach wenigen Fahrstunden bestanden.“ Bald darauf kaufte sie sich einen Lieferwagen für den Kree- und Futtermittelhandel.

Nach dem ersten Motorrad fuhr sie jetzt auch das erste Auto in ihrem Dorf. Für Gretel hieß das, dass sie immer ran musste, ganz gleich ob junge Leute zum Tanzen oder jemand ins Krankenhaus
gefahren werden wollte.

Noch heute sitzt sie selbst hinter dem Lenkrad. „Gott sei Dank“, sagt sie, denn Fahren sei ihr Leben.

Ein dreifach hoch auf Franken

Mit freundlicher Genehmigung des Fränkischen Tages Bamberg

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Thema: Vorbilder aus Franken

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