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120. CSU – Die Großkopferten aus Baiern

Samstag, 15. Januar 2011 | Autor:

Frankenlied


 

Die Großkopferten

 

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Und jetzt ein Franke

Günther Beckstein tritt ein schweres Erbe an. Denn Bayerns Ministerpräsidenten waren immer kantige Charaktere, die den Freistaat wie ein Königreich regierten.
Von Heribert Prantl

Die Historie des bayerischen Landes zeigt immer wieder, dass der Mittelmeerraum kulturell bis zur Donau reicht und die Donau dem Po viel näher liegt als der Elbe. Das erklärt das Unvermögen vieler Menschen im deutschen Norden, sich die Vorgänge in Bayern richtig zu erklären. Selbst die Zeit, eine an sich respektable Wochenzeitung, die aber in Hamburg erscheint, hat Schwierigkeiten, den bayerischen Zusammenklang von politischer und kultureller Geschichte zu erspüren und die Beziehungen zwischen Altbayern, Franken und Schwaben wenigstens in etwa zu erahnen.

Ein ansonsten grundgescheiter Kollege der Zeit hat also kürzlich geschrieben, am Schluss seiner politischen Analyse über den bayerischen Machtwechsel von der CSU zur CSU, dass Günther Beckstein, der künftige bayerische Ministerpräsident, ein »barocker Mensch« sei. Das kann wirklich nur jemand behaupten, für den alles barock ist, was südlich des Mains steht und liegt. Wenn man es schon kulturgeschichtlich fassen will, dann verkörpert Beckstein die Renaissance – die Wiedergeburt des Fränkischen in Bayern, nachdem das Land seit nun mehr als 28 Jahren von katholischen Oberbayern regiert wird. So fränkisch wie künftig, wenn Beckstein mit seiner Franken-Entourage in der Staatskanzlei antritt, war Bayern schon sehr lange nicht mehr. So fränkisch war es zuletzt, als der Bayern-Herzog Tassilo aus dem Geschlecht der Agilolfinger sich im Jahr 787 einem Frankenkönig unterwerfen musste und dann auf dem Reichstag von Ingelheim entwaffnet und festgenommen wurde. Der Nürnberger SPD-Oberbürgermeister Ulrich Maly greift nicht ganz so weit zurück in die Geschichte, betont aber auch, was die Regierungsübernahme Becksteins historisch bedeutet: »Das wird nach 200 Jahren endlich die Vollendung der Integration Frankens in das Königreich Bayern. «

Zwar ist der Freistaat Bayern nach 1945 schon zweimal von Ministerpräsidenten aus Franken regiert worden: Von Hans Ehard (der vier bayerischen Kabinetten vorstand) und von Hanns Seidel (der zwei Kabinetten präsidierte). Aber diese beiden distinguierten Herren waren katholisch – und Günther Beckstein, der von sich sagt, dass er ein »nüchterner Mensch« sei, ist ein Protestant. Nun gibt es gelegentlich auch barocke Protestanten, nehmen wir Peter Gauweiler; aber von dem glaubt eh jeder, er sei katholisch, weil er das altbayerische Wesen so in Reinkultur wie kaum ein anderer verkörpert. Dieses Wesen hat Franz Heubl, ein früherer bayerischer Landtagspräsident, einmal so beschrieben: vital, brutal, sentimental.
Beckstein – barock? Es gibt wunderbaren Barock in Franken, aber nicht im Fabrikverkauf, wo sich Beckstein seine grauen Anzüge abholt: Das Kloster Banz, in dem die CSU oft ihre Klausuren abhält, ist ein Musterbeispiel für süddeutsch-böhmische Schwelgerei; und die Basilika von Vierzehnheiligen auf der anderen Mainseite ist ein spätbarocker Traum, eine Orgie. Beckstein hat mit solcher himmlisch-auftrumpfenden Opulenz, mit prächtigem Stuck und geschaukelten Ellipsen nichts zu tun – nicht im Reden, nicht im Denken, nicht im Tun. Er gehört zu der Familie der fränkischen Zwetschgenmännlein, wie sie demnächst wieder in den Buden auf dem Nürnberger Christkindlesmarkt verkauft werden: Diese Männlein bestehen aus gedörrten Zwetschgen, sie sind zäh und lustig anzuschauen. Das Exemplar Beckstein ist, um es noch näher zu beschreiben, schon ein wenig angestaubt. Allenfalls dann, wenn man es neben den Hamburger Ole von Beust stellt, könnte man sagen, es sei »relativ barock«.

Von den 14 Nothelfern, die im fränkischen Vierzehnheiligen verehrt werden, sind übrigens drei Bischöfe, drei Märtyrerinnen, einer ist Arzt, einer Mönch, einer Diakon, einer Knabe und einer ist Christophorus als der Christkindträger; ein Politiker ist nicht dabei, auch nicht Stoiber – der künftig eine Rolle in Brüssel und nicht in Bayern spielen wird. Wenn man den adäquaten Platz für ihn im bayerischen Himmel sucht, dann ist man bei grundstürzenden Gedanken: Wenn Stoiber dort die Intendanz übernimmt, dann droht Petrus die Entmachtung und dem Elysium ein Programm »Himmel 3000« – Privatisierung der Manna-Manufaktur, Neugliederung der himmlischen Heerscharen, Umstrukturierung des Jüngsten Gerichts.

Mit solchen Überlegungen ist man bei dem, was der Kollege von der Zeit eigentlich meinte, als er vom »barocken Beckstein« sprach: Er meinte nicht den Mann, sondern die bayerische Politik, deren orgiastische Hinterfotzigkeit man in den vergangenen sechzig demokratischen Jahren in allen Aggregatzuständen erleben konnte – und in der dieser Günther Beckstein nun eine neue Rolle spielen wird. Auch Stoiber ist in seiner Attitüde alles andere als barock; seine Gestalt ist es nicht, seine Reden sind es nicht, seine bürokratisch-selbstherrliche Politik war es auch nicht. Wenn er auf dem Podium mit den Armen rudert, dann erinnert er eher ein wenig an einen energischen Hampelmann (den man in Bayern »Schnürlhanswurst« nennt). Aber alle diese Figuren gehören ins große bayerische Welttheater, sie gehören in den bayerischen Himmel, in dem, natürlich, Franz Josef Strauß die Hauptrolle spielt, als zorniger Gottvater und gerissener Weltenlenker.
Das Ensemble dieses bayerischen Welttheaters ist gewaltig. Dutzende von Charakterdarstellern aus der Politik der vergangenen sechzig Jahre gehören dazu: schmeichlerische und bissige, intrigante und meineidige, leutselige, biegsame und polternde. Schon allein die Reihe der Nachkriegs-Ministerpräsidenten bildet einen Fundus, wie ihn kaum ein anderes Staatstheater aufbieten kann: Fritz Schäffer war der erste, ein kleines, zähes, unpopuläres Männlein aus dem Wahlkreis Passau, der dann als Adenauers Finanzminister in den frühen Fünfzigerjahren den »Juliusturm« baute, einen Geldhort von damals sehr respektablen sechs Milliarden Mark. Auf manchen Bildern sieht dieser Jurist aus wie Mahatma Gandhi. Am 30. Januar 1933 hatte er, damals als Vorsitzender der Volkspartei, in letzter Stunde den verwegenen Plan gehabt, der braunen Diktatur die bayerische Monarchie mit einem König Rupprecht von Wittelsbach entgegenzusetzen.

Da ist Wilhelm Hoegner, er war in den sechzig Jahren Nachkriegsgeschichte der einzige Sozialdemokrat, der Bayern regierte: ein Gefühlssozialist, einer, der nicht nur die Bayerische Verfassung, sondern auch einen Roman und viele Gedichte geschrieben hat und der sich, sein Motto war »Bayern zuerst«, in seinem Bayernchauvinismus von keinem Konservativen übertreffen ließ. Es folgt Hans Ehard, der Mann mit den traurigen Augen, katholischer Franke und Kommentator des Bürgerlichen Gesetzbuchs, dessen spektakulärste Eigenschaft war, dass ihm spektakuläre Eigenschaften völlig fehlten. Dann Hanns Seidel, der auf den Bildern ausschaut wie ein Butler und dessen Namen heute die politische Stiftung der CSU trägt.

Alfons Goppel, in Regensburg als Sohn eines Bäckers geboren und zusammen mit neun Geschwistern aufgewachsen, ist der Ministerpräsident, der am längsten regiert hat, noch länger als Stoiber, nämlich 16 Jahre, von 1962 bis 1978. Die Zeitungen porträtieren ihn als »gemütlichen bayerischen Kachelofen«, aber im Lauf seiner vielen Regierungsjahre war Goppel viel mehr geworden: Er war ein demokratischer Kurfürst, der den Königstraum des Bayernlandes ganz wunderbar darstellen konnte (eine Rolle, die später Max Streibl als Nachfolger von Strauß sehr glücklos spielte): den Monarchen also, der sich neben den Bauern zur Brotzeit auf die Bank setzt und zeigt, dass man ungeachtet aller Klassenunterschiede zusammenrückt, die bayerische Herrlichkeit genießt und dem Himmelvater vertraut, der das Land so sichtbar gesegnet hat.

So einer war, um den größtmöglichen Kontrast zu wählen, Edmund Stoiber nicht: Wenn man ihn auf dem Weg nach oben ab und zu mit einem Gamsbart-Hut gesehen hat, dann hatte er sich halt, worum er sich immer bemühte, angepasst. Aber Stoiber glänzte mit grenzenlosem Fleiß, mit Einsatz bis zum Umfallen, mit Staatsstolz, Pflichtgefühl und hervorragenden Wahlergebnissen. Edmund Stoiber war eher ein Unbayer, er war ein Preuße – zumindest nach der Definition, die Kurt Wilhelm, der Autor von Der Brandner Kaspar und das ewig’ Leben, in diesem Stück den Petrus treffen lässt: »Der Preuße spricht den Denkvorgang mit, der Bayer gibt nur das Ergebnis bekannt.«

Und zwischen Goppel und Stoiber, natürlich, Strauß – der Mann, der Wirtschaftspolitik nach dem Motto »Der Fortschritt spricht Bairisch« gemacht hat, der sich, als viriler Weltpolitiker, in der Enge des Plenarsaals im Maximilianeum höchst unwohl fühlte und dem deswegen, wie es heißt, bei seiner Vereidigung als Ministerpräsident der Schweiß schier aus den Manschetten tropfte. Strauß war ein bayerischer Pate, ein politischer Krösus, einer, über den man sich bis heute so viele Geschichten erzählt wie sonst nur über Ludwig, den Märchenkönig. Der Historiker Wolfgang Benz sagte über den Mann, der sich, wie später Stoiber, vergeblich um die Kanzlerschaft bemühte, er sei gescheitert an der »mentalen Zurückhaltung gegen die alpine Urgewalt« in den außerbayerischen Landen.

Daneben die Urviecher, die gern Ministerpräsident geworden wären, aber es nicht geworden sind: Josef Müller, Gründervater der CSU und ihr erster Vorsitzender, ein politischer Ahnherr von Horst Seehofer, in Steinwiesen bei Kulmbach als Bauernbub geboren. Schon als Schüler hieß er »Ochsensepp«. Trotz seiner ländlich-katholischen Herkunft umgab ihn etwas Weltläufig-Liberales. Seine machte ihn immun gegenüberschäumenden Bayernkult; er wollte eine »offene CSU« – und deswegen diffamierte sein Parteifeind, der erzkonservative, tiefgläubige und bayerisch-partikulare Alois Hundhammer, ihn als »Kryptomarxisten«. Hundhammer, auf Bildern sieht er mit seinem weißen Knüppelbart aus wie ein Verwandter des heiligen Klosterbruders Konrad von Altötting, hatte zwar zwei Doktortitel, war aber so voller Ressentiments gegen Preußen, Vertriebene und sonstige Ausländer, dass der US-Militärgouverneur Lucius Clay einmal klagte: »Wenn der so weitermacht, tausche ich Bayern mit den Russen.«

 

Günther Beckstein, der Lehrerssohn aus Nürnberg, der bundesweit einen Ruf als Scharfmacher hat, den er auch pflegt, gehört scheinbar in diese Ecke. Hinter der Schale des Ausländerfressers aber verbirgt sich ein anderer Beckstein, ein skrupulöser, ein an sich und seiner Politik zweifelnder evangelischer Christenmensch, der gute Kontakte zu den türkischen Gemeinden in Bayern hat, dort gern gesehen wird, weil er so ein netter Mensch ist – der aber halt im Kabinett und überall dort, wo richtige Politik gemacht wird, seine konservative Pflicht getan und liberale Anwandlungen mit Aktenarbeit betäubt hat. Von ihm kann man sich gut vorstellen, dass er als Ministerpräsident auch mit Schwulenverbänden spricht. Wer tief in Beckstein hineinschaut, entdeckt den fränkisch-liberalen Bürger, den Nachfahr des Ochsensepp, der eine gesellschaftliche Öffnung der CSU betreiben könnte – obwohl oder gerade weil er oft so possierlich linkisch und schusselig ist. Das Großstädtische, mit dem die CSU so wenig zurechtkommt, sieht ungefährlich aus, wenn er es betreibt. Genau diese Ungelenkheit aber ist Becksteins Problem: Ihm fehlt Ausstrahlung, er ist ein schlechter Redner, er kann nicht repräsentieren.

Das wiederum kann Erwin Huber, der Finanzpolitiker, der einst Stoibers Wadlbeißer war, jetzt bayerischer Staatsmanager ist und künftig CSU-Chef sein wird. Arm, aber gescheit – so einen wie ihn hat früher der Dorfpfarrer zum Studieren geschickt, auf dass ein Geistlicher aus ihm werde. Der kleine Huber hat sich auf dem zweiten Bildungsweg durchgebissen und wurde ein Großer der CSU. Er muss den Bayern nicht spielen; er ist einer – allerdings keiner, von dem man bisher sagen könnte, dass er die »Liberalitas Bavariae« in sich trage. Dafür aber steht er für Effizienz und für souverän-gelassene Ruhe in kritischen Situationen. Er ist Modernisierer und knallharter Charmeur; zuletzt, bei der Reform der Staatsverwaltung, der größten seit Montgelas, lag die Betonung aber auf knallhart.

Gustav Norgall, Redakteur der Mittelbayerischen Zeitung in Regensburg, hat zum bevorstehenden Amtsantritt des Ministerpräsidenten Beckstein zu den sechs Strophen der Frankenlieds, das Viktor von Scheffel 1859 gedichtet hat und das in Franken bei offiziellen Anlässen nach der National- und der Bayernhymne gesungen wird, eine neuere Strophe zitiert. Sie geht so: »Oh heil’ger Veit von Staffelstein, beschütze deine Franken, und jag die Bayern aus dem Land! Wir wollens ewig danken.« So schlimm wird es nicht kommen. Aber eigentlich wären die Schwaben dran. Sie haben noch nie einen bayerischen Ministerpräsidenten gestellt. Im bayerischen Himmel fehlt also fast nichts – nur die Gerechtigkeit.

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Thema: Vorbilder der Baiern

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2 Kommentare

  1. […] wir etwas gegen die “mia san mia” Fraktion in Oberbayern erreichen wollen, dann bitte mit mehr Geschlossenheit und Einigkeit. Sonst werden wir von den Seppl […]

  2. […] dass… mittlerweile auch die CSU erkannt hat, welch verheerende Reaktion die plump inszenierte Intrige der Oberbayern auf die Befindlichkeit in Franken ausgelöst hat? Horst Seehofer sprach wohl deswegen in seinem […]

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